Europäisches Parlament beschließt Datenschutzreform – „Privacy Shield“ fällt bei Datenschützern durch
Um Europa ist es derzeit nicht besonders gut bestellt – so kann man es in den letzten Monaten fast täglich in der Presse lesen. Allerdings gibt es einen Bereich, für den dies derzeit nicht gilt: Den Schutz personenbezogener Daten. In diesen Tagen sind es gleich zwei große Themen, die – jedes für sich genommen – für die Zukunft des Europäischen Datenschutzes von großer Bedeutung sind.
Neuer EU-Datenschutz …
Mit seiner abschließenden Abstimmung wird das Europäische Parlament am 14. April den Weg frei machen für eine nahezu vollständige Überarbeitung des Datenschutzrechts in der Europäischen Union. Das zur Abstimmung stehende Datenschutzpaket besteht aus zwei Rechtsakten:
Die „Datenschutzgrundverordnung“ tritt an die Stelle der bisherigen Datenschutzgesetze der 28 EU-Mitgliedstaaten. Zukünftig gilt – nach einer Übergangsfrist von zwei Jahren – für die desamte EU ein gemeinsames Datenschutzgesetz. Beachten müssen es nicht nur die hier ansässigen Unternehmen, sondern auch Konzerne, die ihre Hauptniederlassung außerhalb der EU haben, aber hier geschäftlich tätig sind („Marktortprinzip“). Die Einhaltung der Regeln wird von unabhängigen Datenschutzbehörden überwacht, die sämtlich über dieselben, wirksamen Sanktionsmöglichkeiten verfügen. Bei schweren Verstößen können Sie Bußgelder in Höhe von bis zu 4% des Jahresumsatzes verhängen.
Die Datenschutzrichtlinie für Polizei und Justiz legt lediglich einen datenschutzrechtlichen Mindeststandard fest. Die Richtlinie entfaltet – anders als die Grundverordnung – keine direkte Wirkung auf die Mitgliedstaaten. Sie muss von diesen in nationales Recht umgesetzt werden. In Deutschland sind Bund und Länder gehalten, die gesetzlichen Bestimmungen für Polizei und Justiz den Vorgaben der JI-Richtlinie anzupassen. Dafür haben sie zwei Jahre Zeit.
Der Reformprozess ist mit dieser Entscheidung allerdings noch nicht abgeschlossen: Zum einen sind die Mitgliedstaaten gehalten, ihre Gesetze den neuen Vorgaben anzupassen und insbesondere an den Schnittstellen zu anderen Rechtsgebieten, etwa beim Sozialrecht, dafür zu sorgen, dass die neuen europarechtlichen Regelungen mit Leben gefüllt werden. Zum anderen verbleiben den nationalen Gesetzgebern auf wichtigen Feldern erhebliche Gestaltungsspielräume, nicht nur bei Polizei und Justz, sondern auch bei Arbeitnehmer- und Gesundheitsdaten und bei dem Balanceakt zwischen Datenschutz und Meinungsfreiheit.
… Zweifel am Privacy Shield
Das zweite große Thema ist das sog. „Privacy Shield“, jenem Nachfolgesystem zu dem Safe Harbour Arrangement, das der Europäische Gerichtshof am 6. Oktober 2015 annulliert hat. Seither ist die Übermittlung von personenbezogenen Daten in die USA durch mehr als 4.500 Unternehmen, die in dem vermeintlich sicheren Hafen geankert hatten, ohne Rechtsgrundlage. Einen zeitlichen Aufschub genießen noch jene Unternehmen, die alternative Instrumente zum Nachweis eines angemessenen Datenschutzes beim Empfänger verwenden, sog. „Srtandardvertragsklauseln“ oder verbindliche Unternehmensregeln (Binding Corporate Rules – BCR).
Unmittelbar nach dem unerwartet harschen Urteil des höchsten EU-Gerichts begann die Europäische Kommission mit Verhandlungen mit der US-Regierung über ein Nachfolgeabkommen. Am 2. Februar 2016 meldeten die Verhandlungspartner Erfolg: Man habe eine politische Einigung erzielt. Das Nachfolgeabkommen solle „Privacy Shield“ heißen und sehr viel besseren Datenschutz garantieren als das einkassierte Safe Harbour-System. Die Erklärung hatte allerdings einen entscheidenden Haken: Außer den Verhandlungspartnern kannte niemand die vereinbarten Texte. Erst am 29. Februar bekamen die Öffentlichkeit und die zur fachlichen Beurteilung aufgerufene Artikel 29-Gruppe der Datenschutzbeauftragten der EU-Staaten die Gelegeneheit, die zwischen der Europäischen Kommission und dem US-Handelsministerium verhandelten Bedingungen zu prüfen.
Die Datenschützer äußerten sich am 13. April 2016 kritisch zu dem Privacy Shield: In ihrer umfänglichen, bisher lediglich in englisch vorliegenden Stellungnahme erklären sie, dass der Privacy Shield zwar in verschiedenen Bereichen deutliche Verbesserungen gegenüber dem Safe Harbour Arrangement enthalte. Andererseits gebe es aber auch erhebliche Defizite, verglichen mit den vom Europäischen Gerichtshof aufgestellten Maßstäben. Damit garantiere das Privacy-Shield derzeit kein Datenschutzniveau, das – entsprechend der Vorgaben des EuGH-Urteils vom 06.10.2015 – dem in der Europäischen Union »der Sache nach gleichwertig« sei.
Im Detail haben die amtlichen Datenschützer Zweifel and er Unabhängigkeit der für die Aufsicht über die US-Sicherheitsbehörden eingerichteten Ombudsperson, der unzureichenden Begrenzung der Speicherungsfristen für übermittelte Daten und der weiterhin möglichen Massenüberwachung europäischer Bürgerinnen und Bürger. Die Zweckbindungsregeln seien zu unscharf. Ein – im EU-Recht vorgesehenes – Widerspruchsrecht der Betroffenen gegen automatisierte Einzelentscheidungen fehle. Zudem seien die Regelungen zur Weiterübermittlung von in die USA transferierten Daten an Drittstatten unzulänglich.
Die Datenschutzgruppe fordert die Europäische Kommission auf, in diesen Punkten nachzuverhandeln. Die Kommission ist zwar nicht formell an dieses Votum der Datenschutzbeauftragten gebunden. Sie täte aber gut daran, deren Bewertung sehr ernst zu nehmen. Über kurz oder lang wird auch die neue Vereinbarung vor dem Europäischen Gerichtshof landen. Es wäre nicht bloß eine Blamage für die Kommission, wenn sie hier erneut von den Richtern korrigiert würde. Mehr noch: Dies wäre ein sehr schlechtes Signal für die EU insgesamt, die ja derzeit ohnehin ein gravierendes Glaubwürdigkeitsdefizit aufweist.
Mit freundlichen Grüßen, Peter Schaar