Der folgende Beitrag stellt eine Antwort des Verfassers auf die Argumente von Rainer Wendt, dem Bundesvorsitzenden der DPolG, im Rahmen der Tagesspiegel „Causa“ vom 04. Dezember 2015 dar.
Dass die jüngsten terroristischen Anschläge von Paris zu rechtspolitischen Überlegungen geführt haben, staatliche Sicherheitsmaßnahmen zu erweitern und zu „verbessern“, ist nicht neu. In diesem Sinne wird auch gerne argumentiert, wenn es um die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland geht: Die Aussage, dass die Vorratsdatenspeicherung in Frankreich nichts zur Verhinderung der Anschläge beigetragen hätte, sei sinnentleert, denn niemand hätte zuvor behauptet, dass dieses Ermittlungsinstrument jedweden Anschlag verhindert. Jedoch aber könnte mit der Vorratsdatenspeicherung zukünftigen Anschlägen besser entgegengewirkt werden, indem sie nach einem Terrorakt ermöglicht, die Kommunikationswege der vorherigen Täter aufzuklären. Dass diese Auffassung im Ergebnis nichts als ein sinnfreier Zirkelschluss ist, wenn man sich argumentativ stets nur auf einen nicht näher spezifizierten Ermittlungserfolg der Zukunft stützt, um die vergangenen und gegenwärtigen Unzulänglichkeiten eines Überwachungsinstruments zu verbergen, verwundert nicht mehr. Zu bekannt ist schon die sicherheitspopulistische Rhetorik, die in derlei Zusammenhängen in den vergangenen Jahren angeführt wurde.
Ganz neu und geradezu innovativ mutet es aber an, sich zu überlegen, das Trennungsgebot zwischen Polizei und Nachrichtendiensten aufzuheben. Wohlgemerkt: „Aufzuheben“ und nicht bloß „aufzuweichen“. Es liegt ja durchaus nicht fern, so zu argumentieren: Manchmal muss man sich einfach von „gewohnten Grundsätzen“ lösen, um auf neue Situationen angemessen reagieren zu können. „Was aus historischen Gründen in Deutschland wichtig und notwendig war, muss angesichts neuer, bisher nicht dagewesener Gefahren möglicherweise auf den Prüfstand.“ Einige wenige Sätze zuvor wird dann auch deutlich, wie diese neuen, bisher nicht dagewesenen Gefahren einzustufen sind: „Stellen die täglichen Anforderungen wie Kriminalitätsbekämpfung, Begleitung von Demonstrationen und Fußballspielen oder Verkehrssicherheit die Polizei ohnehin schon personell und ausstattungsbezogen auf die Probe, so bildet die Gefahr durch den Terrorismus eine völlig neue Kategorie.“ Das stimmt – eine neue Kategorie, die in einem Zuge mit der Kontrolle des Straßenverkehrs genannt werden kann. Bei einem auf diese Weise geführten Argumentationsbogen ist es dann auch nicht weiter überraschend, wenn zugunsten einer Aufhebung des Trennungsgebots argumentiert wird – es werden ja schließlich auch stärkere Verkehrskontrollen benötigt, um der Raserei und dem Alkoholkonsum am Steuer entgegenzutreten.
Im Ergebnis übersieht dieser jüngst in die sicherheitspolitische Debatte eingeführte Standpunkt, dass das Trennungsgebot eben nicht in eine Reihe mit anderen staatlichen Kontroll- und Überwachungsinstrumenten gestellt werden und deshalb gerade nicht ebenso leicht, wie man vor wenigen Wochen hierzulande die Vorratsdatenspeicherung wieder eingeführt hat, im Legislativprozess argumentativ beiseitegeschoben werden kann. Das Trennungsgebot ist – rechtlich betrachtet – nicht nur ein gewohnter Grundsatz, den man über die vergangenen Jahrzehnte liebgewonnen hat, sondern viel tiefer in den grundlegenden rechtlichen Überzeugungen unserer Gesellschaft verankert. Dies hat schon das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur Antiterrordatei vom 24. April 2013 (BVerfG, Urteil vom 24.04.2013 – 1 BvR 1215/07, siehe auch NJW 2013, S. 1499) festgestellt.
Das Trennungsgebot – teils synonym auch Trennungsprinzip genannt – wird zwar nicht explizit im Grundgesetz genannt, stellt aber einen Ausfluss aus dem „Polizeibrief“ dar, den die Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg für das besetzte Deutschland erließen. Basierend auf den jüngsten Erfahrungen aus der NS-Terrorherrschaft wurde hier bewusst zwischen solchen Behörden unterschieden, denen ausschließlich Befugnisse zur Informationssammlung zukamen und solchen, denen obrigkeitliche, typisch exekutivistische Eingriffsbefugnisse eingeräumt wurden. Es fand folglich eine Trennung zwischen den Nachrichtendiensten und der Polizei statt, womit zugleich auch der Grundstein des späteren Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) gelegt wurde. Eine „Geheime Staatspolizei“ wie zur NS-Zeit sollte es hingegen nie wieder geben dürfen. Zwar hat der ursprüngliche Polizeibrief mittlerweile seine Geltung verloren. Dies ändert aber nichts daran, dass das Trennungsgebot weiterhin fort gilt: So hat es nicht nur Eingang in einfachgesetzliche Bestimmungen gefunden, sondern wird auch aus dem Grundgesetz als der nationalen Verfassungsordnung abgeleitet. Hier findet es sich beispielsweise im Rechtsstaats- und Bundesstaatsprinzip wieder, auch lässt es sich argumentativ aus den Grundrechten herleiten. So vielfältig die juristischen Auffassungen hier auch sind, ist doch eines aber unzweifelhaft: Das Trennungsgebot ist ein zentraler verfassungsrechtlicher Bestandteil und damit alles andere als bloß ein „gewohnter Grundsatz“, über den man einmal sprechen kann, wenn einem in der Situation eines informationellen Grundrechtseingriffs danach ist.
Zwar gilt das Trennungsgebot – wie bei so vielen Dingen im Recht – nicht absolut, das heißt also, dass die informationelle Zusammenarbeit zwischen der Polizei und den Staatsschutzbehörden in gut begründeten Einzelfällen auch zulässig sein kann, wo der Informationsaustausch einem öffentlichen Interesse von herausragender Bedeutung zu dienen bestimmt ist. Dies ist verfassungskonform und wurde vom BVerfG im Jahre 2013 zur Antiterrordatei entsprechend entschieden. Ein herausragendes öffentliches Interesse kann dabei durchaus auch die Abwehr von Gefahren durch den Terrorismus sein, der unter Angriff auf Leib und Leben beliebiger Personen eine Destabilisierung des Gemeinwesens zum Ziel hat (siehe BVerfG NJW 2013, 1499, 1506).
Soweit eine verfassungsrechtlich zulässige Durchbrechung des Trennungsgebots erfolgt, muss diese aber stets auf gesetzlich konkretisierte Einzelfälle begrenzt bleiben. Nur hierdurch kann dem Umstand Rechnung getragen werden, dass der Informationsaustausch zwischen Polizeibehörden und Nachrichtendiensten einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff darstellt. Keinesfalls kann rechtlich somit aus der Möglichkeit zur Einschränkung des Trennungsgebots auf dessen generelle Aufhebung geschlossen werden. Und selbst wenn eine solche Debatte auch in rechtspolitischer Hinsicht einmal ernsthaft (!) geführt würde, müsste im Vorfeld genauestens abgewogen werden, ob propagierte Sicherheitsmaßnahmen überhaupt geeignet sind, ihre theoretisch angestrebte Zwecksetzung auszufüllen. Um es mit anderen Worten zu sagen: Steht der für die informationelle Freiheit zu zahlende Preis einer mindestens wertgleichen Gegenleistung im Bereich der staatlichen Sicherheitsinteressen gegenüber?
Und um eines zum Abschluss festzustellen – was in meinen Augen ebenso ein Missverständnis darstellt, wenn es um die Einführung staatlicher Ermittlungsinstrumente geht –: Bürgerrechte zu verteidigen bedeutet nicht, jegliches staatliche Eingriffshandeln verhindern zu wollen, sondern es nur genau zu hinterfragen und dafür zu sorgen, dass eingesetzte, grundrechtsbelastende Verfahren mit ebenjenen Bürgerrechten, die Bestandteil unserer Verfassungstradition sind, im Einklang stehen. Das kann entweder dazu führen, dass eine Maßnahme von vornherein mangels nachgewiesener Effektivität und damit Geeignetheit unzulässig ist oder aber, dass sie zwar zulässig ist, aber nicht grenzenlos eingesetzt werden kann. Oder wie Herr Wendt es sagt: „Grundsätzlich gilt – und das ist richtig so – dass die Einschränkungen von Grundrechten nur unter sehr strengen Voraussetzungen zulässig ist.“ Wir sollten die verfassungsrechtlichen Errungenschaften, die für eine sehr lange Zeit keine Selbstverständlichkeit gewesen sind, nicht einfach so aufgeben oder auch nur in Frage stellen, weil es uns momentan bequem erscheinen mag und gut in die Rhetorik passt – oder gar nur, um auf dem politischen Parkett gehört zu werden.