Der Entwurf des Verfassungsschutz-Gesetzes: Licht und Schatten bei der Neuausrichtung der Datenverarbeitung des BfV

Was gemeinhin unter dem Entwurf des Verfassungsschutz-Gesetzes zusammengefasst wird, umfasst konkret betrachtet weit mehr als nur das: Der am vergangenen Mittwoch in Berlin beschlossene Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Verbesserung der Zusammenarbeit im Bereich des Verfassungsschutzes soll als Artikelgesetz nicht nur das Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) novellieren, sondern umfassend die informationelle Sicherheitsarchitektur in Deutschland umgestalten: So sind Änderungen im MAD-Gesetz, im BND-Gesetz, im Sicherheitsüberprüfungsgesetz, im VIS-Zugangsgesetz, im Artikel 10-Gesetz, im Bundesbeamtengesetz, im Bundesbesoldungsgesetz, in der Strafprozessordnung, in der Verordnung über den Betrieb des Zentralen Staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregisters und im Bundeszentralregistergesetz vorgesehen. Obgleich zahlreiche dieser Änderungen aus datenschutzrechtlicher Perspektive heraus miteinander verknüpft sind, wird im Folgenden aus Gründen des Umfangs nur auf die wesentlichen Änderungen im Bereich des Bundesverfassungsschutzgesetzes eingegangen.
Generell verfolgt das gesetzgeberische Vorhaben die Zielsetzung, den Zuständigkeitsbereich des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) auszuweiten. Hierzu erfolgt die explizite Benennung des BfV als Zentralstelle im nachrichtendienstlichen Bereich ähnlich dem Bundeskriminalamt (BKA) als zentraler Stelle für das polizeiliche Auskunfts- und Nachrichtenwesen. Der Gesetzentwurf sieht vor, die Bedeutung des BfV innerhalb der nationalen Sicherheitsarchitektur zu erhöhen und ihm eine Koordinierungsfunktion einzuräumen, die zu einem höheren Maß an Vereinheitlichung, zur Verbesserung der Zusammenarbeitsfähigkeit zwischen den Landesämtern für Verfassungsschutz (LfV) und dem BfV und zu einer optimierten Regelung der Arbeitsteilung zwischen den einzelnen Sicherheitsbehörden führt.

Zur Erreichung dieses Ziels sind verschiedene Regelungen geplant, welche die Vernetzung der Verfassungsschutzbehörden untereinander fördern. Den Kern bildet dabei der Betrieb des nachrichtendienstlichen Informationssystems (NADIS) durch das BfV. Hierzu wird bestimmt, dass sich die LfV und das BfV unverzüglich die für ihre Aufgaben relevanten Informationen übermitteln. Zwar gibt es auch im geltenden BVerfSchG bereits einen Informationsaustausch zwischen Bund und Ländern in diesem Bereich, dieser wird aber durch die Neuregelungen konkretisiert und in der Form eines synallagmatischen Verhältnisses erweitert. Im Rahmen des Datenbankbetriebs werden zudem die Möglichkeiten der Datenspeicherung ausgedehnt, so brauchen beispielsweise die Dateien grundsätzlich nicht nur die Daten zu enthalten, die zum Auffinden von Akten und der dazu notwendigen Identifizierung von Personen erforderlich sind, sondern können inhaltlich auch darüber hinausgehen, ohne dass es einer gesonderten Rechtfertigung bedarf. Hier bedarf es einer weitergehenden gesetzlichen Konkretisierung, welche Datentypen innerhalb des NADIS gespeichert werden können, um einer Nutzung der Datenbank zu operativen Zwecken vorzubeugen. Ebenso besteht weiterer Konkretisierungsbedarf für den Kreis der auf das System zugriffsberechtigten Personen: Einerseits bestimmt der Gesetzentwurf zwar, dass eine Abfrage von Daten nur zulässig ist, soweit dies zur Erfüllung der Aufgaben, mit denen der Abfragende unmittelbar betraut ist, erforderlich ist. Andererseits jedoch wird die Zugriffsberechtigung auf Daten, die nicht zum Auffinden von Akten und der dazu notwendigen Identifizierung von Personen erforderlich sind, ausgedehnt. Für den entsprechenden Datenabruf wird nicht mehr wie bisher verlangt, dass dieser nur durch Personen stattfinden darf, die „unmittelbar mit Arbeiten in diesem Anwendungsgebiet“ betraut sind, sondern wird vielmehr solchen Ermittlungspersonen ermöglicht, die „mit der Erfassung von Daten oder Analysen betraut sind“. Das Unmittelbarkeitskriterium fällt in diesem Bereich folglich weg.

Für die Verarbeitung von personenbezogenen Daten in Akten sieht der Entwurf des Verfassungsschutz-Gesetzes ebenfalls eine Ausdehnung des Verwendungsumfangs vor, indem Akten oder Auszüge aus Akten ausdrücklich auch in elektronischer Form geführt werden dürfen und ein automatisierter Abgleich grundsätzlich möglich ist. Zugleich werden aber auch Beschränkungen und flankierende Verfahrensregelungen im Umgang mit den Daten getroffen: So wird beispielsweise eine explizite Vernichtungsverpflichtung normiert, wenn eine Akte insgesamt zur Erfüllung der Aufgaben des BfV nicht oder nicht mehr erforderlich ist. Darüber hinaus unterliegt der automatisierte Abgleich personenbezogener Daten aus Akten einer strengen Datenschutzkontrolle für jede Einzelabfrage.
Eine der Neuerungen im BVerfSchG, die sicherlich in Zukunft kontrovers diskutiert werden dürfte, ist die Möglichkeit des BfV, bei einer „Dringlichkeit der Aufgabenerfüllung“ vom gesetzlich vorgegebenen Verfahren der Festlegung von Dateianordnungen für automatisierte Dateien abzusehen und eine Sofortanordnung zu treffen. Die Besonderheit der Dateianordnung liegt darin, dass sie nicht nur der Zustimmung des Bundesministeriums des Innern (BMI) bedarf, sondern darüber hinaus auch der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) vor ihrem Erlass anzuhören ist. Durch die Sofortanordnung wird die Mitwirkung von BMI und BfDI auf eine unverzügliche Nachkontrolle im Anschluss an die Maßnahmendurchführung beschränkt. Damit von der gesetzlich eingeräumten Möglichkeit der Sofortanordnung kein übermäßiger Gebrauch gemacht wird, sollte diese Option des BfV klar auf konkret festgelegte Ausnahmefälle beschränkt werden. Insbesondere bedarf es einer gesetzlichen Konkretisierung des Dringlichkeitsbegriffes.
Die Stellung des BfV als vernetzte Zentralstelle nachrichtendienstlicher Datenverarbeitung wird ebenfalls deutlich im Hinblick auf die Ausdehnung der Übermittlungsverpflichtungen der übrigen Sicherheitsbehörden. So besteht für die Staatsanwaltschaften, die Polizeien und den Zollfahndungsdienst nach dem Gesetzentwurf nunmehr die Verpflichtung, alle ihnen bekanntgewordenen, auch personenbezogenen Informationen an das BfV oder die LfV zu übermitteln, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung zur Aufgabenerfüllung erforderlich ist. Ein behördliches Ermessen wie bisher soll folglich nicht mehr bestehen. Ebenso erhält der BND qua Gesetz die explizite Möglichkeit eingeräumt, personenbezogene Informationen an den Verfassungsschutz zu übermitteln.

Dieser und weiterer der vorgenannten Befugniserweiterungen des BfV stehen jedoch zugleich auch Aspekte der Transparenz und des Datenschutzes gegenüber, welche sich in den geltenden Vorschriften nicht finden. So soll die Tätigkeit des BfV in Zukunft mehr Bürgernähe gewinnen, was zu begrüßen ist. Dementsprechend hat das BfV nicht wie zurzeit noch eine Berichtspflicht ausschließlich gegenüber dem BMI, sondern unmittelbar gegenüber der Öffentlichkeit selbst, die sensibilisiert werden und für welche der Verfassungsschutz transparenter ausgestaltet werden soll. Im Gesetzentwurf unter anderem berücksichtigt wurden auch die Vorgaben, die das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) unter dem Gesichtspunkt des Trennungsgebotes zwischen nachrichtendienstlicher Informationsbeschaffung und polizeilichem, operativen Tätigwerden im Rahmen seines Urteils zum Antiterrordateigesetz (ATDG) (1 BvR – 1215/07) im Jahre 2013 getroffen hat. So werden nunmehr teils verhältnismäßig detaillierte, einschränkende tatbestandliche Angaben getroffen, unter welchen Umständen und an wen das BfV personenbezogene Daten übermitteln darf, die mit Mitteln der heimlichen Informationsbeschaffung erlangt wurden. Gleichwohl belässt der Gesetzentwurf dem BfV auch hier eine „Hintertür“ in der Form einer zusätzlichen allgemeinen Auffangklausel zur Informationsübermittlung, wobei diese hier unter anderem auf „erhebliche“ Zwecke der öffentlichen Sicherheit beschränkt wird. Ob durch dieses Erheblichkeitskriterium allein aber die Weite der Auffangklausel in verfassungsrechtlich ausreichender Weise beschnitten wird, bleibt abzuwarten.
Generell sind für den Gesetzentwurf seine erhöhten Datensicherheitsanforderungen positiv hervorzuheben, die insbesondere die Nutzung des NADIS betreffen: Hier werden Protokollierungspflichten gesetzlich festgeschrieben, die bisher selbst bei den Bundesbehörden nicht immer selbstverständlich gewesen sind, man denke in der Vergangenheit nur an den Einsatz des Staatstrojaners. So hat das BfV für Zwecke der Datenschutzkontrolle bei jedem Zugriff den Zeitpunkt, die Angaben, welche die Feststellung der abgefragten Datensätze ermöglichen und die abfragende Stelle zu protokollieren. Dabei ist die Auswertung der Protokolldaten nach dem Stand der Technik zu gewährleisten.
Klargestellt wird im Entwurf des Verfassungsschutz-Gesetzes nunmehr ferner, dass das BfV, soweit es eine heimliche Informationsbeschaffung betreibt, in Individualrechte grundsätzlich nur nach Maßgabe besonderer Befugnisse eingreifen darf. Die Anwendung geheimer Ermittlungsinstrumente darf dabei zu keinem Nachteil führen, der erkennbar außer Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhalts besteht. Durch diese eigentlich selbstverständliche Feststellung, die in Zukunft aber gesetzlich festgeschrieben werden soll, wird verdeutlicht, dass die Bedeutung des Schutzes der menschlichen Persönlichkeit auch im Zuge staatlicher Ermittlungen keine Werteinbußen erleiden darf. Im Gegenteil, gerade im Falle eines verdeckten nachrichtendienstlichen Tätigwerdens sind die Individualrechte in ihrer Qualität besonders zu berücksichtigen, da der Betroffene sich gegen ein solches Handeln mangels seiner Kenntnis im Regelfall nicht effektiv zur Wehr setzen kann.

Zusammenfassend betrachtet weist der aktuelle Entwurf des Verfassungsschutz-Gesetzes zahlreiche Regelungsintentionen auf, die geeignet sind, die informationellen Grundrechte in einem stärkeren Maße zu beschneiden, als dies bisher der Fall war. Gleichwohl sind die geplanten Vorschriften nicht ausschließlich unter kritischen Gesichtspunkten zu würdigen. Der NSU-Skandal hat gezeigt, dass das BfV in seiner derzeitigen institutionellen Ausgestaltung nicht in der Lage ist, angemessen auf aktuelle Bedrohungslagen zu reagieren. Gesetzliche Änderungen zur Verbesserung der Arbeit der Behörde sind somit zwingend notwendig, insbesondere auch deshalb, um die Verhältnismäßigkeit des Verfassungsschutzes überhaupt zu wahren: Eine staatliche Einrichtung, die teils intensive Eingriffe in Grundrechte durchführt, muss hinreichend effektiv arbeiten, um die Beschneidung verfassungsrechtlicher Freiheiten legitimieren zu können. Die Geeignetheit staatlichen Eingriffshandelns ist stets auch ein Bestandteil von dessen Verhältnismäßigkeitsbeurteilung. Dies berücksichtigt auch der am vergangenen Mittwoch vorgestellte Gesetzentwurf. Mit sicherheitsbehördlichen Befugniserweiterungen muss dennoch stets sparsam umgegangen werden, diese finden ihre Grenze in der zwingenden Erforderlichkeit des exekutiven Handelns. Hier geht der Gesetzentwurf streckenweise zu weit bzw. ist in seiner tatbestandlichen Ausgestaltung teils noch zu wenig konkret. Da das Gesetzgebungsverfahren aber noch nicht abgeschlossen ist, bleibt zu hoffen, dass diese Erwägungen in Zukunft Berücksichtigung finden.

Dennis-Kenji Kipker, 01.04.2015

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