06.11.2016: Presseerklärung – Datenschützer kritisieren geplante Ausweitung der Videoüberwachung

Presseerklärung

Berlin, 6. November 2016

Datenschützer kritisieren geplante Ausweitung der Videoüberwachung

Die Europäische Akademie für Informationsfreiheit und Datenschutz (EAID) bewertet den vom Bundesministerium des Innern (BMI) vorgelegten Gesetzentwurf zur Ausweitung der Videoüberwachung kritisch. Zu befürchten sei ein unverhältnismäßiger Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und in das durch Art. 8 der EU-Grundrechtecharta garantierte Grundrecht auf Datenschutz.

In der Stellungnahme (Voller Wortlaut: https://www.eaid-berlin.de/?page_id=1438) äußert die EAID erhebliche Zweifel daran, ob die mit dem Gesetzentwurf beabsichtigte systematische Höhergewichtung der öffentlichen Sicherheit gegenüber dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht. Zweifelhaft sei schon, inwieweit die zusätzliche Videoüberwachung sich überhaupt zur Abwehr von Terroraschlägen eigne. Es sei nicht erkennbar, wie dadurch Anschläge wie in Ansbach und München im Sommer 2016 verhindert werden könnten, wie das BMI erwarte.

EAID-Vorstandsmitglied Dennis-Kenji Kipker: „Eine präventive Abschreckungswirkung dürfte von der Videoüberwachung und -aufzeichnung im Hinblick auf die terroristischen Anschläge jedenfalls nicht zu erwarten sein. Attentäter, die bewusst ihr eigenes Leben opfern („Selbstmordattentäter“) und die mit ihnen verbundenen Organisationen streben möglichst breite mediale Wirkung an. Videoaufzeichnungen und die Verbreitung der Aufnahmen sind insofern in ihrem Interesse. Im Hinblick auf die zur Begründung angeführten Anschläge in München und Ansbach sind keine Anhaltspunkte erkennbar, dass sich diese durch umfangreichere Videoüberwachung hätten verhindern, in ihren Auswirkungen begrenzen oder effektiver aufklären lassen.“

EAID-Vorsitzender Peter Schaar sieht in der erweiterten Videoüberwachung eine verfassungsrechtlich bedenkliche weitere Vorratsdatenspeicherung: „Es werden regelmäßig ganz überwiegend Personen erfasst, von denen keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht und die keine Straftaten begangen haben. Eine dauerhafte, nicht anlassbezogene Videoüberwachung hat deshalb stets den Charakter einer Datenerhebung und -speicherung auf Vorrat, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs nur ausnahmsweise zulässig ist und jedenfalls einer nachprüfbaren und überzeugenden Begründung bedarf.“

Selbst unter der Prämisse, dass sich die in der vom BMI genannten Ziele durch vermehrte Videoüberwachung erreichen ließen, ist deren verfassungsrechtliche Zulässigkeit auch im Hinblick auf die Vielzahl zusätzlicher Überwachungs- und Speicherungsbefugnisse zu beurteilen, die in den letzten Jahren eigeführt wurden oder die geplant sind, etwa die Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsdaten, die umfassende Speicherung der Daten von Flugreisenden und das auf EU-Ebene geplante Ein- und Ausreiseregister. Eine solche, auch vom Bundesverfassungsgericht geforderte „Überwachungsgesamtrechnung“ verstärkt die verfassungsrechtlichen Zweifel an dem Gesetzgebungsvorhaben, führt die EAID aus.

Die Stellungnahme erfolgte im Rahmen eines Anhörungsverfahrens des Bundesministeriums des Innern für den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes – Erhöhung der Sicherheit in öffentlich zugänglichen Anlagen und im öffentlichen Personenverkehr durch optisch-elektronische Einrichtungen (Videoüberwachungsverbesserungsgesetz).

Der Gesetzentwurf des BMI ist abrufbar unter
https://www.eaid-berlin.de/wp-content/uploads/2016/11/E_Videoueberwachungsverbesserungsgesetz.pdf