Vorratsdatenspeicherung: Notwendigkeit nicht nachgewiesen!

Der Europäische Gerichtshof wird voraussichtlich am 8. April sein Urteil über die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung (Richtlinie 2006/24/EG v. 15. 3. 2006) sprechen, die die Mitgliedstaaten zur Speicherung der Verkehrsdaten der Telekommunikation verpflichtet.

Wer Grundrechte einschränkt, ist beweispflichtig. Er muss nachweisen, dass die Einschränkungen der persönlichen Freiheit im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit notwendig sind – so schreibt es unser Grundgesetz vor. Dieser Grundsatz gilt auch in der Europäischen Union, spätestens seit die EU-Grundrechtecharta im Jahr 2009 mit dem Vertrag von Lissabon einklagbares Recht der Mitgliedstaaten wurde. Die Richtlinie stammt aus der Zeit vor Lissabon. Im Dezember 2013 hatte der Generalanwalt beim EuGH in seinem Votum die Auffassung vertreten, die Richtlinie verstoße gegen den in Art. 8 GRCh garantierten Schutz der Privatsphäre.

Den Beweis der Erforderlichkeit und Wirksamkeit sind die Autoren und Befürworter der Vorratsdatenspeicherung bis heute schuldig geblieben. Dabei müsste es ihnen doch ein leichtes sein, nach acht Jahren den Nachweis zu führen – wenn denn ihre Argumente wirklich stimmen sollten. So müsste sich eigentlich nachweisen lassen, dass die Strafverfolgung Schaden genommen hat, weil das Bundesverfassungsgericht 2010 das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung (VDS) für verfassungswidrig erklärt hat. Sind bei uns die Aufklärungsquoten gesunken? Steht Deutschland schlechter da als seine Nachbarstaaten, in denen die VDS praktiziert wird?  Davon kann keine Rede sein. Zudem haben weder die Regierungen der Mitgliedstaaten noch die Europäische Kommission auf andere Weise einen schlüssigen Nachweis für die Erforderlichkeit der VDS führen können.

Dass es Ermittlungsbehörden nicht an Daten mangelt, wird auch am „Fall Edathy“ deutlich: Dem Bundeskriminalamt, dessen Chef Jörg Ziercke zu den entschiedendsten Befürwortern der Vorratsdatenspeicherung gehört, lagen konkrete Erkenntnisse zu einem internationalen Kinderporno-Ring vor. Aus „Kapazitätsgründen“ blieben diese Daten mehr als ein Jahr unbearbeitet. Zudem hört man Klagen aus den Landeskriminalämtern, mit der Auswertung beschlagnahmter Festplatten und anderer Datenträger überfordert zu sein. Wenn die Polizei nicht einmal in der Lage ist, vorliegende Beweismittel zu sichten, warum verlangen ihre Vertreter die anlass- und verdachtslose Speicherung sämtlicher Telekommunikationsdaten?

Inzwischen ist sogar amtlich belegt, dass das unter US-Präsident George W. Bush nach 2001 eingeführte exzessive Programm zur Speicherung sämtlicher Metadaten amerikanischer Telefonkunden keine Terroranschläge verhindert hat. Mehr noch: Diese Super-Vorratsdatenspeicherung hat nicht einmal substanzielle Beweise für Ermittlungen gegen Terrorverdächtige geliefert. Das kann man in dem im Januar vorgelegten Bericht des unabhängigen Privacy and Civil Liberties Oversight Board (PCLOB) nachlesen, der auch die geheimen Akten der US-Sicherheitsbehörden berücksichtigt (Report on the Telephone Records Program conducted under Section 215 of the USA PATRIOT Act and on the Operations of the Foreign Intelligence Surveillance Court, S. 11).

Wie der EuGH zur VDS-Richtlinie entscheiden wird, werden wir bald erfahren. Unabhängig davon sollte politisch auf ihre Aufhebung hingewirkt werden, weil sie unverhältnismäßig in die Grundrechte von mehr als 500 Millionen Bürgerinnen und Bürgern der Europäischen Union eingreift. Die Initiative hierfür kann vor allem das Europäische Parlament (EP) ergreifen, das demnächst neu gewählt wird. Fragen Sie die Kandidatinnen und Kandidaten für das EP, wie sie zur VDS stehen. Vielleicht ist die Antwort ja ein geeignetes Kriterium für Ihre Wahlentscheidung.

Ihr

Peter Schaar

7 Kommentare

    … und das heute verkündete Urteil dürfte genau das richtige Signal sein.

    Das ist ein zwingend notwendiger und sehr wichtiger Sieg für die Freiheit.
    Der Satz: „Wer Grundrechte einschränkt, ist beweispflichtig.“ ist plakativ und trifft es recht gut – m. E. aber noch nicht genug.
    Wer Grundrechte einschränkt ist nicht nur beweispflichtig, er muss auch die Abwägung offen legen.
    Die hier immer rangeführte Grundverdachts-Argumentation klingt sehr amerikanisch; und das will ja keiner hier haben…

    Frank Herbrand | 8. April 2014 at 21:12

    Eine Frage an den Fachmann:

    Wenn es aus polizeilicher Sicht keinen nennenswerten Grund gibt, noch mehr Daten zu verarbeiten, weil man mit bisherigen Ermittlungen nicht mal fertig wird, und man mal annimmt, dass hinter Datensammelwut keine industrielle Lobby steht, bleibt nach den Offenlegungen von Herrn Snowden eine schwerwiegende Frage:

    Sollen die Daten vom Staat eigentlich nur deshalb in solchen Massen gesammelt werden, weil der Staat mittels Geheimdienste damit Handel treibt, um im Gegenzug Daten aus anderen Ländern, vielleicht vorzugsweise von unseren angeblich befreundeten Staaten, wie die USA zu bekommen?

    Oder die Frage anders gestellt: Sind die Geheimdienste diese Lobby, die vor allem zur Aufrechterhaltung ihrer Behörde Daten sammeln und Daten handeln möchten?

    Wie viel ist an dieser Fragestellung tatsächlich dran? Irgend jemand muss ja so gehörig Lobby-Arbeit leisten. Von alleine kommen unsere Politiker nicht drauf, so ein Gesetzt unbedingt umsetzen zu müssen. Wer ist also tatsächlich die treibende Kraft an den entsprechenden Stellen bei uns in Deutschland?

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