netzpolitik.org: Abgründe des Landesverrats oder Angriff auf den Rechtsstaat?

Dass im Jahr 1962 viele Menschen gegen die Besetzung der Spiegel-Zentrale auf die Straße gingen, hat auch damit zu tun, dass der Angriff auf die Pressefreiheit mit Händen zu greifen war. Von Generalsbundesanwälten angeleitete Polizisten durchsuchten die Redaktionsräume und beschlagnahmten kistenweise journalistische Unterlagen. Dies entfachte einen medialen Sturm, der letztlich auch den damaligen Verteidigungsminister Franz Josef Strauß, der für die Aktion politisch verantwortlich war, aus dem Amt fegte. Dies ereignete sich im Zeitalter der Schreibmaschine, in dem die Strafverfolgungsbehörden auf Papiere zugreifen mussten, an die sie nur durch offene Aktionen – Durchsuchung und Beschlagnahme – gelangen konnten.

Im Internetzeitalter gelten andere Regeln, auch in dem von der Bundesanwaltschaft eingeleitete Ermittlungsverfahren gegen den Blog netzpolitik.org. Heute geht es um Daten, die elektronisch gesammelt, verarbeitet und verbreitet werden. Um an sie zu gelangen, braucht es keine Hausdurchsuchung mehr. Dafür gibt es neue und sehr wirksame Ermittlungsinstrumente, die auch in diesem Fall zum Einsatz kommen könnten oder bereits eingesetzt werden.

Der Generalbundesanwalt hat am 30. Juli 2015 die Betreiber des Blogs darüber informiert, dass gegen sie wegen Landesverrats ermittelt werde (§ 94 Abs. 1 Nr. 2 Strafgesetzbuch – StGB). Ob es sich bei den von netzpolitik.org veröffentlichten Informationen wirklich um Staatsgeheimnisse handelt, wird aus guten Gründen infrage gestellt.

§ 93 StGB definiert Staatsgeheimnisse als

(1).. Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und vor einer fremden Macht geheimgehalten werden müssen, um die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland abzuwenden.
(2) Tatsachen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder unter Geheimhaltung gegenüber den Vertragspartnern der Bundesrepublik Deutschland gegen zwischenstaatlich vereinbarte Rüstungsbeschränkungen verstoßen, sind keine Staatsgeheimnisse.

Die inkriminierten Veröffentlichungen betreffen nach Auskunft von netzpolitik.org Papiere zu Haushalts- und Organisationsangelegenheiten des Verfassungsschutzes, die als “VS-VERTRAULICH“ eingestuft waren.

Nach der Verschlusssachenanordnung (VSA) des Bundesministeriums des Innern ist dies der niedrigste Geheimhaltungsgrad, bei dem Informationen nur besonders überprüften Personen zugänglich sind. VS-VERTRAULICH werden Dokumente eingestuft, „wenn die Kenntnisnahme durch Unbefugte für die Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder schädlich sein kann“ (§ 3 Nr. 3 VSA). Informationen, deren „Kenntnisnahme durch Unbefugte die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder gefährden oder ihren Interessen schweren Schaden zufügen kann“, sind mindestens in der Klassifikation „GEHEIM“ einzustufen (§ 3 Nr. 2 VSA). Schon allein die Einstufung der veröffentlichten Papiere als VS-VERTRAULICH und nicht als GEHEIM oder STRENG GEHEIM spricht dagegen, dass hier Staatsgeheimnisse offenbart wurden.

Warum der Generalbundesanwalt gleichwohl einen Anfangsverdacht des Landesverrats festgestellt hat, soll hier nicht weiter vertieft werden. Nachgehen möchte ich allerdings der Frage, welche strafprozessualen Konsequenzen sich aus den Vorwurf des Landesverrats ergeben. Mit der Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens wegen Landesverrats kann sich die Bundesanwaltschaft aus dem gut gefüllten Instrumentenkasten alter und neuer Ermittlungsbefugnisse bedienen.

In den letzten Dekaden wurden besondere Befugnisse der Sicherheitsbehörden zur Überwachung der elektronischen Kommunikation und zum Zugriff auf digital gespeicherte Daten eingeführt und ausgeweitet. Diese Befugnisse lassen sich in den Paragraphen 100a ff der Strafprozessordnung nachlesen: Die Telekommunikation darf überwacht werden, große und kleine Lauschangriffe, also das Aufnehmen von Gesprächen in Wohnräumen und anderswo sind heute zulässig. Telekommunikationsunternehmen müssen Verkehrsdaten an die Polizei und an die Staatsanwaltschaften herausgeben. Allen diesen neuen Befugnisse ist gemein, dass sie heimlich, hinter dem Rücken der Betroffenen und unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Anders als bei Hausdurchsuchungen, in denen ausdrücklich im Gesetz vorgeschriebenen ist, dass zumindest ein Zeuge zugegen sein muss, erfahren die Betroffenen von den elektronischen Überwachungsmaßnahmen bestenfalls im Nachhinein, etwa dann, wenn gegen sie Anklage erhoben wird.

Dabei beschränkt sich etwa die Möglichkeit der Überwachung der Telekommunikation nicht auf die ausdrücklich Beschuldigten. Vielmehr dürfen entsprechende Maßnahmen auch gegen Personen ergriffen werden, von denen anzunehmen ist, dass sie für den Beschuldigen bestimmte oder von ihm herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben oder dass der Beschuldigte ihren Anschluss benutzt. Auch die übrigen oben erwähnten Ermittlungsbefugnisse beschränken sich nicht auf den Beschuldigten sondern können auch Dritte betreffen.

Nicht zuletzt dem Bundesverfassungsgericht ist es zu verdanken, dass die Strafverfolgungsbehörden die meisten dieser neuen Befugnisse nur bei Verdacht auf besonders schwere Straftaten einsetzen dürfen. Dazu gehört auch der Landesverrat.

Journalisten, ihnen zugegangene oder selbst erarbeitete Unterlagen und ihre Quellen genießen ein besonderes Zeugnisverweigerungsrecht (§ 53 Abs. 1 StPO). Entsprechende Unterlagen dürfen auch nicht beschlagnahmt werden (§ 97 Abs. 5 StPO). Der Schutz des Inhalts selbst erarbeiteter Materialien und den Gegenstand entsprechender Wahrnehmungen entfällt jedoch bei besonders schweren Straftaten, zu denen auch der Landesverrat gehört (§ 53 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StPO).

Weder das Zeugnisverweigerungsrecht noch der Beschlagnahmeschutz sind hier also einschlägig. Dies wiegt deshalb besonders schwer, weil sich das Ermittlungsverfahren gegen Journalisten richtet, deren Tätigkeit die für die Demokratie essenzielle Pressefreiheit des Artikels 5 Abs. 1 Grundgesetz verwirklicht:

„(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“

Die herausragende Bedeutung der Pressefreiheit hat das Bundesverfassungsgericht wiederholt, insbesondere in seinem „Cicero-Urteil“ vom 27. Februar 2007 verdeutlicht:

„Die Freiheit der Medien ist konstituierend für die freiheitliche demokratische Grundordnung. Eine freie Presse und ein freier Rundfunk sind daher von besonderer Bedeutung für den freiheitlichen Staat. Dementsprechend gewährleistet Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG den im Bereich von Presse und Rundfunk tätigen Personen und Organisationen Freiheitsrechte und schützt darüber hinaus in seiner objektiv-rechtlichen Bedeutung auch die institutionelle Eigenständigkeit der Presse und des Rundfunks. Die Gewährleistungsbereiche der Presse- und Rundfunkfreiheit schließen diejenigen Voraussetzungen und Hilfstätigkeiten mit ein, ohne welche die Medien ihre Funktion nicht in angemessener Weise erfüllen können. Geschützt sind namentlich die Geheimhaltung der Informationsquellen und das Vertrauensverhältnis zwischen Presse beziehungsweise Rundfunk und den Informanten. Dieser Schutz ist unentbehrlich, weil die Presse auf private Mitteilungen nicht verzichten kann, diese Informationsquelle aber nur dann ergiebig fließt, wenn sich der Informant grundsätzlich auf die Wahrung des Redaktionsgeheimnisses verlassen kann.“

(– 1 BvR 538/06 , Rnr. 42) –

Wenn Journalisten und deren Informanten damit rechnen müssen, dass die eigens zu ihrem Schutz geschaffenen Vorschriften – Beschlagnahmeschutz, Zeugnisverweigerungsrechte – nicht mehr wirken, weil gegen die Journalisten selbst ermittelt wird, ist die Pressefreiheit in Gefahr.

Wir wissen nicht, ob und inwieweit die oben genannten Ermittlungsinstrumente in dem Verfahren gegen netzpolitik.org bereits verwendet worden sind oder ob ihr Einsatz geplant ist. Angesichts der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erscheint es mir ziemlich unwahrscheinlich, dass es zu einer Anklageerhebung wegen Landesverrat oder gar zu einer rechtskräftigen Verurteilung kommen wird.

Eines hat die Bundesanwaltschaft mit ihren außergewöhnlichen Vorgehen, das in diametralem Gegensatz zu ihrer demonstrativen Hemmung in Sachen NSA-Überwachung steht, allerdings schon erreicht: Eine Verunsicherung des Vertrauens – nicht nur bei Journalisten – in das Funktionieren unseres Rechtsstaats.

Mit freundlichen Grüßen

Peter Schaar

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