Mazzini und Snowden

1844 bewegte eine Abhöraffäre die Londoner Öffentlichkeit – ein Skandal, der interessante Parallelen zu der aktuellen Snowden-Affäre aufweist. Der italienische Polit-Aktivist Giuseppe Mazzini setzte sich von seinem Londoner Wohnort aus für die staatliche Einigung Italiens ein und korrespondierte intensiv mit Gleichgesinnten im In- und Ausland. Diese Aktivitäten erregten das Misstrauen des österreichisch-ungarischen Kaiserreichs, das Teile Italiens besetzt hielt. Um dem für die Donaumonarchie abträglichen Treiben entgegenzuwirken, wandte sich der österreichische Botschafter in London an die britische Regierung und verlangte, die Post Mazzinis zu überwachen – mit Erfolg. Die von Mazzini geschriebenen und die an gerichteten Briefe wurden im Royal Post Office geöffnet, kopiert und der Inhalt den Österreichern mitgeteilt.

Die Überwachung flog auf, nachdem Mazzini und seine Freunde misstrauisch geworden waren und durch einige Tricks herausfanden, dass ihre Briefe geöffnet wurden. Mazzini ging an die britische Öffentlichkeit. Die Empörung war groß – Politiker verlangten von der Regierung eine Erklärung, die diese zunächst unter Berufung auf das Staatswohl und die notwendige Geheimhaltung ablehnte. Das britische Parlament gab sich mit dieser Erklärung nicht zufrieden und richtete einen Untersuchungsausschuss ein, der das ganze Ausmaß der Überwachung sichtbar machte: Nicht nur Mazzini, sondern auch viele andere Personen standen unter Überwachung. Ihre Briefe wurden ausgesondert und geöffnet.

Warum regte sich die Öffentlichkeit auf? War nicht aus der britischen Vergangenheit durchaus bekannt, dass in Großbritannien wie in vielen anderen Staaten Postsendungen überwacht wurden? Die Kritik war besonders deshalb so scharf, weil wenige Jahre zuvor die „Penny Post“ – ein allgemein gegen geringes Entgelt zugänglicher Dienst der Royal Mail eingeführt worden war. Der Umfang des Brieftransports war daraufhin stark angestiegen und die Fernkorrespondenz gehörte inzwischen zum Alltag vieler Menschen und beschränkte sich nicht mehr auf Aristokraten, Fernhändler, Diplomaten und sonstige herausgehobene Persönlichkeiten. Die Überwachung der Briefpost, die man zuvor hinzunehmen bereit gewesen war, war damit zu einem Massenphänomen geworden, das prinzipiell jeden betraf.

Die Affäre hatte schließlich ein Happy End: Angesichts der anhaltenden Empörung wurde das für die Überwachung verantwortliche „Inner Office“ aufgelöst und die britische Regierung versprach, das Postgeheimnis zukünftig einzuhalten. Jedenfalls wurde die Überwachung drastisch reduziert und britische Briefschreiber konnten über Jahrzehnte in aller Regel sicher sein, dass ihre mit der Royal Post abgewickelte Korrespondenz nicht von Dritten mitgelesen oder kopiert wurde.

Bei der heutigen Überwachung durch den britischen Geheimdienst GCHQ und die amerikanische NSA sind wir von einem solchen Happy End noch weit entfernt. Die Mazzini-Affäre, wie bedeutsam eine kritische Öffentlichkeit ist, wenn es um die Bewahrung von Bürgerrechten geht. Dies gilt auch heute – für Großbritannien wie für den Rest der Welt!

Mit freundlichen Grüßen

Peter Schaar

P.S. Auf die Mazzini-Affäre hat mich – am Rande einer Konferenz zum Datenschutz und zur IT-Sicherheit – Reinhard Posch hingewiesen, der im österreichischen Bundeskanzleramt als CIO tätig ist. Herzlichen Dank!

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