Immer mehr Überwachung – Was wird aus unseren Grundrechten?

Nach terroristischen Attentaten schlägt die Stunde der Scharfmacher. Maßnahmen, die in „normalen“ Zeiten kaum durchsetzbar wären, stoßen nach Anschlägen kaum noch auf Widerstand. Mancher Politiker, der entsprechenden Forderungen zuvor kritisch gegenüberstand, verstummt oder mutiert gar zum Befürworter immer schärferer Sicherheitsgesetze. Das war nach den Anschlägen in den USA am 11. September 2001 so und das geschah nach den Bombenexplosionen in London und in Madrid. Dasselbe Reaktionsmuster können wir nach den jüngsten fürchterlichen Attentaten in Paris beobachten.

Bereits nach den Angriffen auf Charly Hebdo und einen jüdischen Supermarkt im Januar 2015 wurde in Frankreich die Überwachungsschraube weiter angezogen. Der Deutsche Bundestag beschloss unter Hinweis auf die Attentate mit der Mehrheit der regierenden Großen Koalition die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung, obwohl eine solche in Frankreich weder die Januar-Anschläge verhindern konnte noch zu signifikanten Fahndungserfolgen  beigetragen hat. Die Attentate in diesem November belegen, wie wenig die massenhafte Überwachung bewirkt hat.

Wer gehofft hat, dass die Erfolglosigkeit und Ineffizienz der Massenüberwachung bei Überwachungs-Befürwortern ein Nachdenken über den Sinn der von ihnen durchgesetzten Maßnahmen auslösen würde, sieht sich getäuscht. Wenn die bisherigen Überwachungsmaßnahmen nicht gegriffen haben, muss man die Überwachung eben erweitern – so das phantasielose Credo. Vorschläge zu neuen Überwachungsmaßnahmen, die zuvor als untauglich oder grundrechtswidrig galten, kommen erneut auf den Tisch: Etwa die Erweiterung der Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsdaten auf das gesamte Internet einschließlich der mit digitaler Technik vernetzten Geräte (dies sieht etwa ein Gesetzentwurf der britischen Regierung vor).

Auch die seit Jahren diskutierte lückenlose, mehrjährige Speicherung der Daten aller Flugpassagiere und deren Weitergabe an Geheimdienste in Europa soll nun offenbar eingeführt werden – bisher hatten die Europaparlamentarier dagegen schwerwiegende Bedenken, weil sie von der Effektivität der Maßnahme nicht überzeugt waren und sie für grundrechtswidrig hielten

Weil Terroristen nicht nur über die EU-Außengrenzen reisen, soll die Datenerfassung auch alle innereuropäischen Flüge umfassen. Das erklärt nun der Berichterstatter im Europäischen Parlament, der konservative britische Abgeordnete Timothy Kirkhope. Und er weist darauf hin, dass angesichts der terroristischen Bedrohung wohl auch die Nutzer anderer Verkehrsmittel erfasst werden müssten. Die Registrierung muss – wenn man den Ansatz zu Ende denkt – sämtliche Verkehrsmittel umfassen: Auch Bus, Bahn und Auto. Und da Terroristen Straßen- und U-Bahnen nutzen, müssten auch deren Passagiere erfasst werden. Und wie sieht es mit Radfahren und Fußgängern aus – schließlich könnten sie ja einen Sprengstoffgürtel tragen oder andere Waffen mit sich führen? Die Totalerfassung aller bei allen Gelegenheiten ist der logische Endpunkt eines Ansatzes, der nicht auf gezielte Verfolgung Verdächtiger setzt, sondern auf die umfassende, ohne Anlass erfolgende Registrierung auf Vorrat.

Digitale Daten werden als „neues Öl“ der Internet-Ökonomie bezeichnet. Sie nähren aber zugleich die Phantasien derjenigen, die bereit sind, Freiheitsrechte wie selbstverständlich auf dem Altar vermeintlicher Sicherheit zu opfern, denn die überall in immer größerer Anzahl anfallenden „Metadaten“ erzeugen entsprechende Begehrlichkeiten. Überwachung breitet sich so wie ein Ölfleck über demokratische Gesellschaften aus und zerstört dabei das Wertvollste, das sie zu bieten haben: Toleranz, Offenheit, Pluralismus.

In den letzten Jahren haben Gerichte – allen voran das Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof – Sperren gegen die Ausbreitung der Überwachungsölpest ausgelegt. Der  Lauschangriff auf Wohnräume und das heimliche Durchsuchen von Computern wurde stark eingeschränkt, die Gesetze und Richtlinien zur Vorratsdatenspeicherung wurden annulliert, weil sie mit dem Grundgesetz und mit den europäischen Grundrechten unvereinbar waren. Es darf nicht hingenommen werden, dass übereifrige Überwachungsfreunde diese Schranken angesichts der terroristischen Bedrohung beiseite räumen.

 

Peter Schaar

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