„Gibts nicht“ – reicht nicht ! Das Europäische Gericht zu Frau v. d. Leyens Textnachrichten

Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, kommuniziert – wie schon Angela Merkel – gern über Textnachrichten. Das tat sie auch während der Corona-Pandemie, als es darum ging, in kürzester Zeit genügend Impfstoffe für die EU-Mitgliedstaaten zu organisieren. Zu diesem Zweck stand sie auch in Kontakt mit dem Chef des Pharma-Konzerns Pfizer. Es gelang ihr schließlich, Verträge mit diesem und anderen Pharma-Unternehmen zu schließen, die die Versorgung mit Impfstoffen sicherstellte. In der Folge wurde allerdings der Vorwurf erhoben, sie habe dies nur durch die Zusicherung überhöhter Preise erreichen können. Sowohl die New York Times als auch Bürgerrechtsorganisationen verlangten daraufhin die Offenlegung der Textkommunikation zwischen der Kommissionspräsidentin und dem Pfizer-Chef. Dem schloss sich die Europäische Bürgerbeauftragte an. Die Kommission dagegen verweigerte die Offenlegung mit dem Argument, diese Textnachrichten existierten nicht mehr und seien auch nicht archiviert worden. Es handele sich dabei nicht um Dokumente, die nach den internen Regeln der Kommission zu registrieren seien, weil die Textnachrichten nur kurzlebig und unwichtig gewesen seien.

Diese Kommissionsentscheidung griffen eine Jorunalistin der New York Times und die Zeitung selbst vor dem Europäischen Gericht an. Dieses hat ihnen mit dem Urteil vom 14. Mai 2025 Recht gegeben (Stevi und New York Times gegen Kommission, Rechtssache T-36/23 <https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf;jsessionid=CB80B8964EF04447A8D83A8560128603?text=&docid=299492&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1&cid=3379875>). Diese Entscheidung ist von grundsätzlicher Bedeutung für das Informationszugangsrecht nicht nur auf EU-Ebene, sondern auch in den Mitgliedstaaten der Union.

Das Gericht hat die ablehnende Kommissionsentscheidung für nichtig erklärt. Das bedeutet nicht, dass die fraglichen Textnachrichten (soweit sie noch existieren) jetzt offengelegt werden müssen. Aber das Urteil stellt in erfreulicher Deutlichkeit klar, dass die Kommission es sich mit der Begründung ihrer Entscheidung, die Nachrichten existierten nicht (mehr), zu einfach gemacht hat. Zwar sei es richtig, dass die EU-Transparenzverordnung, die einen freien Zugang zu den Dokumenten der EU-Organe garantiert, nicht dazu verpflichtet, nicht vorhandene Dokumente zu erzeugen oder wiederherzustellen. Wenn es aber – wie in diesem Fall – Anhaltspunkte dafür gebe, dass die fraglichen Nachrichten jedenfalls existiert haben, sei es Aufgabe der Kommission, detailliert zu begründen, welche Schritte sie unternommen habe, um sie aufzufinden. Es genüge auch nicht, pauschal darauf zu verweisen, dass die fraglichen Nachrichten nach den kommissionsinternen Vorschriften als kurzlebig und unwichtig qualifiziert und daher nicht registriert worden seien. Vielmehr müsse im einzelnen dargelegt werden, aus welchen Gründen diese Einstufung erfolgt sei.

Die Kommission hatte zudem (auf Nachfrage des Gerichts) erklärt, die dienstlichen Mobiltelefone ihrer Mitglieder (also auch das der Präsidentin) würden aus Sicherheitsgründen nach einer angemessenen Nutzungsdauer regelmäßig ersetzt. Es konnte aber nicht geklärt werden, ob die auf dem Mobiltelefon der Präsidentin gespeicherten Nachrichten gelöscht oder auf das neue Mobiltelefon übertragen worden sind. Da die Einlassungen der Kommission auf Vermutungen beruhten, wurden sie vom Gericht als nicht plausibel angesehen.

Interessant an dem Urteil in dieser Rechtssache ist die Begründung des Gerichts: Die Entscheidung der Kommission, die Offenlegung der Textnachrichten abzulehnen, wurde unter Verweis auf das in der Europäische Grundrechte-Charta (Art. 41) garantierte Recht auf gute Verwaltung für nichtig erklärt. Dieses Recht umfasst zum einen die Verpflichtung der Verwaltung, ihre Entscheidungen zu begründen. Es beinhaltet aber auch eine Sorgfaltspflicht der Verwaltung, die nach der Transparenzverordnung nicht nur verpflichtet ist, den Zugang zu allen Unterlagen bezüglich ihrer Tätigkeiten zu gewähren; dazu gehört auch die Pflicht, solche Unterlagen „so weit wie möglich in willkürfreier und vorhersehbarer Art und Weise“ zu erstellen und über einen längeren Zeitraum aufzubewahren (Rn. 59 des Urteils). Das Gericht macht dabei den Vorbehalt, dass diese Verpflichtung unbeschadet anderer rechtlicher Voraussetzungen (z.B. im Hinblick auf den Datenschutz) gelte. Damit meint das Gericht aber offenbar nicht den Schutz personenbezogener Daten der Amtsträger der Union, sondern ihrer Kommunikationspartner, soweit es sich um natürliche Personen handelt. Daraus wird man auch den Schluss ziehen müssen, dass die Unionsorgane, die ihren Amtsträgern Mobiltelefone zur Verfügung stellen, Regelungen darüber treffen müssen, wie mit den auf diesen Endgeräten gespeicherten Daten zu verfahren ist, z.B. wann und unter welchen Umständen sie gelöscht werden dürfen. Das wird in dem Maße wichtiger, wie Bedienstete der Union ihre Amtsgeschäfte mittels mobilen Endgeräten erledigen.

Das Urteil des Europäischen Gerichts ist aus zwei Gründen auch für das nationale Recht von grundsätzlicher Bedeutung: zum einen enthält die EU-Transparenzverordnung – was häufig übersehen wird – in Art. 5 eine ausdrückliche Verpflichtung der Behörden der Mitgliedstaaten, die über Dokumente der Unionsorgane (z.B. Textnachrichten) verfügen, das Unionsorgan zu konsultieren, von dem die Dokumente stammen, „um eine Entscheidung zu treffen, die die Ziele der Transparenzverordnung“ nicht beeinträchtigt.“ Zum anderen spricht viel dafür, die Informationsfreiheits- und Transparenzgesetze der Mitgliedstaaten entsprechend der Entscheidung des Europäischen Gerichts auszulegen, denn nur so lassen sich ihre Ziele effektiv erreichen.

Das Urteil des Europäischen Gerichts ist noch nicht rechtskräftig. Sollte sich die Kommission entscheiden, den Europäischen Gerichtshof anzurufen, ist zu hoffen, dass dieser das Urteil bestätigt.

Dr. Alexander Dix