Das Ende der vorratsdatenlosen Zeit

Kurz vor Weihnachten verkündete der Bundesanzeiger-Verlag die frohe Botschaft, dass die vorratsdatenlose Zeit bald zu Ende geht. Mit der Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt am 17. Dezember 2015 trat das „Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten“ in Kraft. Die „Erbringer öffentlich zugänglicher Telefondienste“ müssen ab dem 1. Juli 2017 wieder Rufnummern und andere Kennungen der Kommunikationspartner mit genauen Zeitangaben, Internetzugangsdienste die jeweilige Internet-Protokoll-Adresse speichern. Bei mobilen Diensten sind zusätzlich die Daten über die zu Beginn der Verbindung genutzten Funkzellen festzuhalten.

Wird Deutschland tatsächlich sicherer, wenn die Telekommunikationsunternehmen erneut verpflichtet werden, Daten über das Kommunikationsverhalten Ihrer Kunden zu speichern? Das zentrale Argument der Befürworter der Vorratsdatenspeicherung ist deren angebliche Notwendigkeit im Kampf gegen den Terrorismus. Insbesondere seit dem Massaker islamistischer Terroristen an den Redakteuren der Satirezeitschrift Charly Hebdo im Januar 2015 in Paris forderten deutsche Politiker die Wiedereinführung der Speicherungspflicht. Die 2006 eingeführte  Vorratsdatenspeicherung hatte das Bundesverfassungsgerichts am 2. März 2010 für verfassungswidrig erklärt und der Europäische Gerichtshof (EuGH) annullierte am 8. April 2014 die Vorratsdatenspeicherungs-Richtlinie der EU, weil sie eklatant gegen die Grundrechte-Charta verstieß, und zwar gleichermaßen gegen den in Art. 7 garantierten Schutz der Privatsphäre und den durch Art. 8 verbrieften Schutz personenbezogener Daten. Legitime Zwecke der Strafverfolgung, der Gefahrenabwehr und der Terrorismusbekämpfung rechtfertigten die tiefen, mit einer anlasslosen, regional unbegrenzten, langfristigen und umfangreichen Speicherung personenbezogener Daten verbundenen Grundrechtseingriffe nicht. Entscheidend dabei sei, dass von einer solchen Maßnahme ganz überwiegend Unverdächtige betroffen sind.

Die Forderungen nach neuen Datensammlungen folgen einem Reaktionsmuster,  das bereits nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 zu beobachten war. Sie lösten weltweit eine Welle von Überwachungsmaßnahmen aus, von denen wir heute wissen, dass sie die Welt nicht sicherer gemacht haben. Dies gilt auch für die Vorratsdatenspeicherung, die ja in Frankreich niemals ausgesetzt wurde und auch vor den jüngsten terroristischen Anschlägen praktiziert wurde. Selbst die dortige 12-monatige Vorratsdatenspeicherung hat die schrecklichen Mordattentate vom Januar und Oktober 2015 nicht verhindern können.

Auch wenn immer mehr Untersuchungen die Nutzlosigkeit der undifferenzierten Datenspeicherung bei Terrorismusbekämpfung belegen, hat dies die Bundestagsmehrheit nicht davon abgehalten, die Speicherungspflicht erneut einzuführen. Obwohl die dabei festgelegten Fristen von zehn Wochen für Verkehrsdaten und IP-Adressen bzw. vier Wochen für Standortdaten deutlich unterhalb der Vorgaben der früheren Vorratsdatenspeicherung bleiben, steht die Maßnahme zu Recht in der Kritik:

Es handelt sich um eine undifferenzierte Maßnahme, die ganz überwiegend unschuldige und unbescholtene Nutzerinnen und Nutzer elektronischer Dienste trifft. Selbst Daten von Berufsgeheimnisträgern wie Ärzten und Anwälten sollen lückenlos erfasst werden. Die gesetzlichen Verwertungsverbote schützen diese Daten nur unzureichend.
Der Nachweis der Notwendigkeit des mit der verdachtslosen Speicherung verbundenen tiefen Eingriffs in die Grundrechte wurde nicht erbracht.
Terroristische und andere Straftäter haben vielfältige Möglichkeiten, der Vorratsdatenspeicherung zu entgehen, etwa durch die Verwendung nicht registrierter Prepaid-Karten oder von Kommunikationsdiensten, die nicht erfasst werden, insb. von „Over The Top“ (OTT)-Diensten wie Skype, für die eine entsprechende Speicherverpflichtung nicht besteht.
Die zusätzlich gespeicherten Daten erhöhen das Risiko auf unberechtigte Verwendung durch Innen- und Außentäter. Diesen Gefährdungen kann nur mit erheblichem technischen, personellen und finanziellen Aufwand entgegengewirkt werden, den letztlich alle Kundinnen und Kunden der verpflichteten Unternehmen und zum Teil auch die Steuerzahler zu tragen haben.

Vor diesem Hintergrund ist es mehr als verständlich, dass Verfassungsbeschwerden gegen die neue Vorratsdatenspeicherung angekündigt wurden – durchaus mit guten Erfolgsaussichten.

Mit vorweihnachtlichen Grüßen

Peter Schaar

Links:
Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung (BGBl I , S. 2218, 17.12.2015)
EAID-Stellungnahme zum Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung
EAID-Blog: Die Neue, die Unvollendete: Zur Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung am 16.10.2015

 

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