Vorratsdatenspeicherung reloaded

Kaum waren die Schüsse bei den schrecklichen Anschlägen von Paris verhallt, wurde von etlichen Politikern lautstark für die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung für Telekommunikationsdaten geworben. Nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 8. April 2014 die Vorratsdatenspeicherungs-Richtlinie (2006/24/EG) annulliert hatte, war es zunächst ziemlich still um dieses Strafverfolgungsinstrument geworden. Der EuGH annullierte die Richtlinie von 2006, weil sie eklatant gegen die EU-Grundrechte-Charta (GrCH) verstieß, und zwar gleichermaßen gegen den in Art. 7 garantierten Schutz der Privatsphäre und den durch Art. 8 verbrieften Schutz personenbezogener Daten. Legitime Zwecke der Strafverfolgung, der Gefahrenabwehr und der Terrorismusbekämpfung rechtfertigen die umfangreichen, mit einer anlasslosen, regional unbegrenzten, langfristigen und umfangreichen Speicherung personenbezogener Daten verbundenen Grundrechtseingriffe nicht. Entscheidend dabei ist, dass von einer solchen Maßnahme ganz überwiegend Unverdächtige betroffen sind.

Vier Jahre zuvor hatte bereits das Bundesverfassungsgericht (BVerfG – Urteil vom 2. März 2010) die deutschen Vorschriften zur Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig und erklärt. Während das BVerfG den Befürwortern der Vorratsspeicherung die Hoffnung ließ, doch noch zu einer verfassungsmäßigen gesetzlichen Regelung zu kommen, mit der die EU-Richtlinie umgesetzt werden könnte, hat die EuGH-Entscheidung den dafür vorhandenen Spielraum fast auf Null verringert. Insbesondere der Hinweis des EuGH auf die Unverhältnismäßigkeit einer Maßnahme, mit der ganz überwiegend völlig Unverdächtige erfasst werden, widerspricht dem mit der VDS verfolgten Ansatz diametral.

Ein Revival erlebten nach den Mordanschlägen von Paris auch andere von Sicherheitspolitikern immer wieder geforderte Maßnahmen, vor allem die Einführung der Vorratsdatenspeicherung von Fluggastdaten. In diesem Zusammenhang ist der Hinweis des Bundesverfassungsgerichts zu beachten, dass das Verbot einer Totalüberwachung zur „verfassungsrechtlichen Identität der Bundesrepublik Deutschland“ gehört, mit der es nicht zu vereinbaren wäre, wenn neben einer (eingeschränkten) Vorratsdatenspeicherung von Telefondaten auf europäischer Ebene noch weitere Vorgaben zur Vorratsdatenspeicherung eingeführt würden.

Die reflexhaften Forderungen nach neuen Gesetzen und Datensammlungen sind Ausdruck eines Aktionismus, der meint, so Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. Das Reaktionsmuster kennen wir bereits seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001, die weltweit eine Welle von Überwachungsmaßnahmen auslösten, von denen wir heute wissen, dass sie die Welt nicht sicherer gemacht haben. Dies gilt auch für die Vorratsdatenspeicherung, die ja in Frankreich – auch nach dem EuGH-Urteil – praktiziert wurde. Selbst die dortige 12-monatige Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikations- und Internetdaten hat die schrecklichen Mordattentate nicht verhindern können. Zudem waren die Attentäter auf dem Schirm der Sicherheitsbehörden und ihre Namen fanden sich in diversen Dateien und Anti-Terrorlisten. Es bereitete es der französischen Polizei offenbar auch keine Schwierigkeiten, die Identität der Attentäter und ihr soziales Umfeld auszuleuchten – ob die auf Vorrat gesammelten Telekommunikationsdaten hierzu einen wesentlichen Beitrag leisteten, darf angesichts der Geschwindigkeit der Aufklärung zumindest bezweifelt werden.

Wer angesichts dieser Fakten und der durch die EU-Grundrechtecharta und das Grundgesetz gezogenen Grenzen die Wiedereinführung der VDS fordert, muss den Nachweis ihrer Notwendigkeit führen. Davon ist aber weit und breit nichts zu sehen – obwohl doch mittlerweile umfangreiche Erfahrungen in Europa und aus den USA vorliegen. Im Gegenteil: Es mehren sich die Untersuchungen, welche die Nutzlosigkeit der undifferenzierten Datenspeicherung bei Terrorismusbekämpfung belegen, etwa der Anfang 2014 vorgelegte Bericht des US-amerikanischen Civivil Liberties Oversight Boards. Diese amerikanische Datenschutzbehörde kam zum Ergebnis, dass die umfassende, seit 2001 von der NSA betriebene Metadatensammlung weder konkrete Ermittlungen gegen den Terrorismus vorangebracht noch zur Aufklärung bisher unbekannter Anschlagsplanungen beigetragen habe (PCLOB – Report on the Telephone Records Program).

Diejenigen, die Bürgerrechte einschränken wollen, seien daran erinnert, dass sie begründungspflichtig sind und nicht die Grundrechtsverteidiger. Massive Grundrechtseinschränkungen nach dem Motto „es könnte ja doch helfen“ darf es nicht geben – jedenfalls nicht in einer Demokratie.

Mit freundlichen Grüßen

Peter Schaar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert