04.11.2016: Stellungnahme der EAID zum Entwurf des Videoüberwachungsverbesserungsgesetzes

EAID Berlin

Stellungnahme zum Referentenentwurf des Bundesministeriums des Innern für den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes – Erhöhung der Sicherheit in öffentlich zugänglichen Anlagen und im öffentlichen Personenverkehr durch optisch-elektronische Einrichtungen (Videoüberwachungsverbesserungsgesetz)

 

Oben genannter Gesetzentwurf des Bundesinnenministeriums lag der EAID Berlin am 3. November 2016 zur Stellungnahme vor. Er begegnet erheblichen datenschutzrechtlichen Bedenken. Zudem bestehen Zweifel daran, inwieweit die mit dem Gesetzentwurf beabsichtigte systematische Höhergewichtung der öffentlichen Sicherheit gegenüber dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht.

Der Entwurf betrifft – wie auch namentlich bezeichnet – die punktuelle Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes zur Erhöhung der Sicherheit des öffentlichen Verkehrsraumes (Videoüberwachungsverbesserungsgesetz). Die Rechtmäßigkeit zur Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen richtet sich dabei im allgemeinen Datenschutzrecht nach § 6b BDSG. Nach dieser Regelung, die sowohl für öffentliche als auch für nicht-öffentliche Stellen gilt – wobei für erstere aufgrund spezialgesetzlicher Ermächtigungsgrundlagen der Anwendungsbereich der Vorschrift verhältnismäßig gering ist – ist eine Videoüberwachung der öffentlich zugänglichen Räume insbesondere nur dann zulässig, wenn dies zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich ist und keine Anhaltspunkte bestehen, dass schutzwürdige Interessen der durch die Überwachungsmaßnahme Betroffenen überwiegen (§6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG). Eine ganz ähnliche Interessenabwägung ist auch für die sich anschließende Verarbeitung und Nutzung des Videomaterials durchzuführen: Diese sind nur dann zulässig, wenn sie zum Erreichen des verfolgten Zwecks erforderlich sind sowie keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass schutzwürdige Interessen des Betroffenen überwiegen (§ 6b Abs. 3 S. 1 BDSG).

Durch die Änderung des Gesetzes wird zweierlei bezweckt:

  • Erstens soll dem § 6b Abs. 1 ein zweiter Satz angefügt werden. Demgemäß ist in öffentlich zugänglichen großflächigen Anlagen (z.B. Sport-, Versammlungs- und Vergnügungsstätten, Einkaufszentren oder Parkplätzen) oder Einrichtungen und Fahrzeugen des öffentlichen Personennahverkehrs der Schutz von Leben, Gesundheit oder Freiheit von dort aufhältigen Personen als wichtiges öffentliches Interesse bei der im Satz zuvor benannten Abwägungsentscheidung zu berücksichtigen.
  • Zweitens wird auch für die Zulässigkeit der Verarbeitung von Videodaten auf die vorgenannte Abwägungsklausel referenziert, indem § 6b Abs. 3 S. 1 BDSG eine Verweisungsvorschrift angehängt wird.

Begründet wird die Gesetzesänderung mit einem gestiegenen öffentlichen Sicherheitsinteresse insbesondere seit den terroristischen Anschlägen in Deutschland seit dem Sommer 2016. Da sich in der Vergangenheit bei den Datenschutzaufsichtsbehörden eine restriktive Praxis zur Beurteilung des privaten Einsatzes von optisch-elektronischen Sicherheitstechnologien herausgebildet hätte, werde durch die vorgeschlagenen Gesetzesänderungen ein Ausgleich in der Abwägungsentscheidung zur Zulässigkeit von Videoüberwachungsanlagen im öffentlichen Verkehrsraum geschaffen. Bei den neu hinzutretenden Vorschriften sei ferner zu berücksichtigen, dass die Interessenabwägung hierdurch nicht pauschalisiert werde, sondern weiterhin für jeden Einzelfall gesondert zu prüfen sei. Hierbei müssen das berechtigte öffentliche Interesse und das grundgesetzlich abgesicherte Recht auf informationelle Selbstbestimmung gegeneinander abgewogen werden.

Der Gesetzentwurf begegnet an verschiedenen Punkten erheblichen Bedenken. Unklar ist bereits, ob die angestrebte und verstärkte Videoüberwachung des öffentlichen Raums tatsächlich zu den angestrebten Ergebnissen im Sinne einer verfassungsrechtlichen Geeignetheit zu führen vermag. Erwartet wird laut der Entwurfsbegründung unter anderem, „Anschläge wie in Ansbach und München im Sommer 2016 zu verhindern“. Eine Begründung, ob und wie dies bei unangekündigt und rasch handelnden Tätern geschehen soll, wie dies auch in der jüngsten Vergangenheit der Fall gewesen ist, bleibt der Entwurf schuldig. Dagegen spricht, dass Videoüberwachung im Rahmen der Gefahrenabwehr nur dann eine Wirkung entfalten kann, wenn sämtliche Aufnahmen in Echtzeit durch entsprechende Mitarbeiter überwacht und entsprechende Gegenmaßnahmen ohne Zeitverzug eingeleitet werden können. Die Prüfpraxis der Datenschutzbeauftragten belegt jedoch, dass diese Voraussetzungen bereits bei der derzeitigen, auf Gefahrenbereiche beschränkten Videoüberwachung nicht gewährleistet sind. Die beabsichtigte massive Ausweitung der überwachten Bereiche würde die Möglichkeiten zur schnellen Reaktion eher noch verschlechtern.

Eine präventive Abschreckungswirkung dürfte von der Videoüberwachung und -aufzeichnung im Hinblick auf die terroristischen Anschläge jedenfalls nicht zu erwarten sein. Attentäter, die bewusst ihr eigenes Leben opfern („Selbstmordattentäter“) und die mit ihnen verbundenen Organisationen streben möglichst breite mediale Wirkung an. Videoaufzeichnungen und die Verbreitung der Aufnahmen sind insofern in ihrem Interesse. Im Hinblick auf die zur Begründung angeführten Anschläge in München und Ansbach sind keine Anhaltspunkte erkennbar, dass sich diese durch umfangreichere Videoüberwachung hätten verhindern, in ihren Auswirkungen begrenzen oder effektiver aufklären lassen.

Für die nachträgliche Ermittlungstätigkeit von Polizei und Staatsanwaltschaft ist es nicht ausgeschlossen, dass die verstärkte Videoaufzeichnung von Vorteil sein kann – dies insbesondere auch, um den Geschehensablauf zu rekonstruieren und hierdurch Hinweise auf mögliche Muster der Tatbegehung o.Ä. zu erhalten. Dem trägt die derzeitige, gefahren- und risikobezogene Abwägungsklausel im derzeitigen § 6b BDSG allerdings bereits Rechnung.

Die EAID sieht kritisch, dass durch die Gesetzesänderung die Abwägungsentscheidung zwischen den berechtigten Interessen zur Aufzeichnung und der informationellen Selbstbestimmung einseitig in Richtung Sicherheit verschoben wird, zumal die Wirksamkeit der Ausweitung der Videoüberwachung im Hinblick auf die Terrorismusbekämpfung nicht einmal plausibel begründet ist. Bei der Videoüberwachung werden regelmäßig ganz überwiegend Personen erfasst, von denen keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht und die keine Straftaten begangen haben. Eine dauerhafte, nicht anlassbezogene Videoüberwachung hat deshalb stets den Charakter einer Datenerhebung und -speicherung auf Vorrat, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs nur ausnahmsweise zulässig ist und jedenfalls einer nachprüfbaren und überzeugenden Begründung bedarf.

Der technische Fortschritt in der Videotechnik hat zudem die Identifikation einzelner Personen mittels Verfahren der automatisierten Mustererkennung seit der Verabschiedung der Regelung des § 6b BDSG vor mehr als 15 Jahren deutlich verbessert. Dadurch hat sich die Tiefe des Eingriffs der Videoüberwachung in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ohnehin erheblich erhöht. Die Absenkung der Einsatzschwellen für diese Überwachungstechnik ist auch deshalb sehr bedenklich.

Selbst unter der Prämisse, dass sich die in der Gesetzesbegründung genannten Ziele durch vermehrte Videoüberwachung erreichen ließen, wäre deren verfassungsrechtliche Zulässigkeit auch im Hinblick auf die Vielzahl zusätzlicher Überwachungs- und Speicherungsbefugnisse zu beurteilen, die in den letzten Jahren eigeführt wurden oder die geplant sind, etwa die Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsdaten, die umfassende Speicherung der Daten von Flugreisenden und das auf EU-Ebene geplante Ein- und Ausreiseregister. Eine solche, auch vom Bundesverfassungsgericht geforderte „Überwachungsgesamtrechnung“ verstärkt die verfassungsrechtlichen Zweifel an dem Gesetzgebungsvorhaben.

Obwohl es sich bei der im Gesetzentwurf vorgesehenen Abwägungsentscheidung über die Zulässigkeit einer Videoüberwachung nach der Gesetzesbegründung formal weiterhin um eine Einzelfallentscheidung handeln mag, würde die Abwägung in verfassungsrechtlich zweifelhafter Weise eingeschränkt, wenn das grundlegende Gerüst der Interessenabwägung einseitig in Richtung der Sicherheit verschoben wird. Eine theoretische Einzelfallentscheidung, verknüpft mit einem derart weit gefassten Tatbestand, wie er durch die Gesetzesnovelle vorgegeben wird, führt im Ergebnis zu einer vordefinierten Entscheidung zugunsten des Einsatzes öffentlich installierter Überwachungskameras.

Dass dieses gesetzgeberische Vorgehen mit einem aufgabenspezifischen und im Einklang mit den jeweiligen Pflichten stehenden Handeln der hamburgischen Datenschutzaufsichtsbehörde begründet wird, lässt den Entwurf nur umso kontroverser erscheinen. Es drängt sich geradezu der Eindruck auf, als sollte nachträglich in die durch eine unabhängige Datenschutzbehörde getroffene Entscheidung eingegriffen bzw. diese korrigiert werden.

Nicht zuletzt ist es ein erklärtes Ziel der Novelle, die Aufgabenwahrnehmung der öffentlichen Sicherheit in Teilen privaten Einrichtungen zu übertragen. Zwar ist es richtig, dass gerade auch Private in nicht unerheblichem Maße großflächige öffentliche Verkehrsräume schaffen und unterhalten, die, wie sich in der Vergangenheit gezeigt hat, unter den gegenwärtigen Umständen auch ein erhöhtes Risikopotenzial bieten können. Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine umfassende Auslagerung der Wahrnehmung von Aufgaben der öffentlichen Sicherheit de facto durch Private zu einer nur schwer kontrollierbaren Situation führt, indem sich jede – letztlich möglicherweise auch zu anderen Zwecken wie beispielsweise der Diebstahlsicherung – erfolgende Videoüberwachung letzten Endes auf die Wahrnehmung von Aufgaben der öffentlichen Sicherheit stützen lässt, soweit der private Betreiber eine bestimmte Größe überschritten hat oder andere, gleichermaßen einleuchtende Gründe benennen kann, was aufgrund der zuvor schon genannten tatbestandlichen Weite der Vorschrift nicht schwierig sein wird. Mit der deutlich angestrebten Kooperation zwischen Ermittlungsbehörden und Privaten in Verbindung mit der flächendeckenden Möglichkeit zur Videoüberwachung wird dadurch eine Überwachungsdichte des öffentlichen Raumes geschaffen, die bisher beispiellos ist.

Nicht zuletzt stellt sich angesichts der zweifelhaften Eignung der Videoüberwachung zur Terrorismusbekämpfung die Frage, ob angesichts der öffentlich wahrgenommenen Bedrohungslage vor allem dem politischen Interesse nach mehr „gefühlter“ öffentlicher Sicherheit Rechnung getragen werden soll. Der Gesetzentwurf macht jedenfalls deutlich, dass ein Zurücktreten der informationellen Selbstbestimmung gegenüber staatlichen Sicherheitsinteressen zunehmend auch pauschal für möglich und legitim gehalten wird – eine bedenkliche Tendenz.