Der Traum vom autonomen und vernetzten Fahren – Segen oder Fluch?

Die Automobilindustrie gilt hierzulande als Innovationsträger, und das nicht umsonst: Schließlich steht kaum ein Industriezweig so sehr im Rampenlicht wie die Autohersteller – mit der Einführung eines jeden Modells werden bahnbrechende technische Neuerungen erwartet, die das Autofahren nicht nur sicherer und schneller, sondern mittlerweile vor allem auch umweltfreundlicher und komfortabler machen sollen.

Gerade der letztgenannte Aspekt betrifft zwei Innovationen, welche in der Automobilbranche schon seit Jahrzehnten diskutiert werden: Zum einen das autonome Fahren, zum anderen das vernetzte Automobil. Autonomes Fahren bedeutet im Großen und Ganzen, dass sich das Fahrzeug im fließenden Straßenverkehr komplett selbstständig fortbewegt, ohne dass der Fahrer irgendetwas dazutun müsste: Es wird automatisch beschleunigt und gebremst, Verkehrshindernisse werden erkannt und der Navigationscomputer übernimmt die Zielführung. Der frühere Fahrer und nunmehr allein Fahrgast muss lediglich wissen, welches Ziel er mit seinem Fahrzeug erreichen möchte.

Während die ersten Ideen vom „autonomen“ Fahren in den Vereinigten Staaten bereits in den 1940er Jahren wurzelten, als man sich noch in einer Reihe mit raketengetriebenen Fahrzeugen abenteuerliche Konzepte von Highways vorstellte, auf denen die Wagen in eine in der Fahrbahn eingelassene Führungsschiene eingekoppelt werden sollten, um dann über Hunderte von Kilometern bis zur gewünschten Ausfahrt gezogen zu werden, ist man technisch mittlerweile in der Lage, das Fahrzeug tatsächlich von sich aus autonom fahren zu lassen. Ermöglicht wird dies beispielsweise durch zahlreiche Ultraschall- und Lasersensoren, die über den Bordcomputer gesteuert den Pkw in eine Art von „Sensorblase“ einbinden.

So führt der Hersteller „Audi“ bereits Autobahnerprobungen des autonomen Fahrens mit Serienlimousinen des Typs „A7“ durch. Es wird zurzeit davon ausgegangen, dass die entsprechenden Technologien bis zum Jahre 2017 so weit entwickelt sind, dass sie in den Verkauf eingebracht werden können. Wenn das autonome Fahren tatsächlich wie angekündigt funktionieren sollte, wäre dies sicherlich ein automobiler Meilenstein, denn wer möchte nicht gerne ein Auto haben, das ihn bei Bedarf komplett selbsttätig fährt?

Die bald schon gegenwartsreife Zukunftsvision wäre wohl (einige datenschutzrechtliche Aspekte der Datenverarbeitung unter Privaten einmal bewusst ausgeblendet) vollkommen, würde nicht die neue Technologie auch das Interesse der (Sicherheits)behörden auf sich lenken. Hierbei kann man sich eine Szene vorstellen, die schon manch einer in Hollywoodproduktionen der 1990er Jahre gesehen hat: Ein Bürger setzt sich in sein Fahrzeug und hat es augenscheinlich eilig, betätigt die Zündung – und es passiert nichts. Woran das liegt? An einem behördlichen Fernzugriff auf die Computersteuerung des Fahrzeugs, die eine Abschaltung des Zündmechanismus zur Folge hat. Und spätestens an dieser Stelle kommt nicht mehr nur allein das autonome Fahren, sondern vor allem auch das vernetzte Automobil ins Spiel: In den vergangenen Jahren wurde bereits oft über die zunehmende Funktion des Autos als „rollendes Smartphone“ bzw. „mobiler Computer“ berichtet. Während in den 1980er Jahren der Fahrtenrechner bzw. Bordcomputer als technologische Innovation herausgehoben wurde, hat es mit dem technologischen Fortschritt ebenso einen immensen Ausbau der Informations- und Kommunikationstechnik gegeben, die in die Fahrzeuge integriert wird. Längst sind Bordcomputer und Navigationsgerät über den CAN-Bus miteinander vernetzt und mit enormer Leistungsfähigkeit ausgestattet zu einem kompletten fahrzeuginternen Multimediasystem avanciert, welches über das Mobilfunknetz den jederzeitigen Zugriff auf das Internet ermöglicht. Und eben jener Zugriff vom Auto auf das Internet ist nicht nur rein einseitiger Natur, sondern in beide Richtungen hin möglich. Im Fall des „Jeep Cherokee“ hat sich jüngst in den USA bereits gezeigt, dass der Einbruch in die Fahrzeug-EDV erhebliche Folgen nach sich ziehen kann, indem der Fernzugriff mangels hinreichender bordinterner Sicherheitsmechanismen nicht nur Aufschluss über die genaue Fahrzeugposition gibt, sondern sogar die volle Steuerkontrolle ermöglicht (siehe dazu auch die aktuelle c’t, Ausgabe vom 31.10.2015, S. 72 ff.; betroffen waren 1,4 Millionen Fahrzeuge). Der Begriff des Autos als „kritischer Infrastruktur“ gewinnt hierdurch eine gänzlich neue Bedeutung.

Die noch vor ein paar Jahren von Hollywood verkaufte sicherheitsbehördliche Fernabschaltung des Fahrzeugs (so genannte „Zwangsstilllegung“) ist folglich keine entfernte Zukunftsvision mehr, sondern liegt näher, als manch einer glauben mag. So hat in den USA die RAND-Corporation jüngst einen Bericht herausgegeben, der zukünftige Internet-Technologien in den Bereichen Strafverfolgung und Justiz thematisiert. Unter anderem wird hier neben besagter Zwangsstilllegung im Falle des Verdachts von strafbaren Handlungen oder einer Fluchtgefahr auch die Frage behandelt, auf welche weitere Weise sich die Sicherheitsbehörden die Technologie des autonomen, vernetzten Fahrens zunutze machen können. Vorgeschlagen wird für das autonome Fahren beispielsweise, dass der computergesteuerte Pkw der Zukunft auch in der Lage sein soll, unmittelbar auf optische Anweisungen und Gesten von Polizeivollzugsbeamten zu reagieren, die den Verkehr regulieren.

Vergleichsweise harmlos und auch noch sinnvoll mutet es an, wenn die Polizei dabei die Möglichkeit erhalten soll, ein falsch geparktes und führerloses Fahrzeug zwangszuversetzen, zum Beispiel, um einen Notweg zu schaffen oder den Weg zu einem benötigten Hydranten frei zu machen. Schwerwiegender sind hingegen solche Eingriffe, die unmittelbar auf den fließenden Verkehr Einfluss nehmen. Das wäre dann der Fall, wenn – wie ebenfalls angedacht – die computergesteuerte Anweisungserkennung des Pkw dazu führt, dass dieser unmittelbar aus dem Verkehr gelenkt oder zum Halten gebracht werden kann. Hier stellen sich bereits zahlreiche Fragen, wie ein solches Verfahren der Einflussnahme technisch, rechtlich und organisatorisch ausgestaltet werden soll, um einen Missbrauch der Anweisungserkennung zu verhindern, der je nach Verkehrssituation erhebliche Personen- und Vermögensschäden nach sich ziehen kann.

Die letzte der im RAND-Report vorgesehenen Möglichkeiten des sicherheitsbehördlichen Fernzugriffs auf die Fahrzeuginfrastruktur betrifft die Auswertung von gesammelten Fahrdaten. Angedacht wird hierbei, das Auto die Insassen sowie die zurückgelegte Fahrstrecke gegenüber der Polizei ausweisen zu lassen. Hierdurch wird den Sicherheitsbehörden nicht mehr nur die Kontrolle über die Fortbewegung an sich, sondern über das gesamte damit im Zusammenhang stehende Verhalten ermöglicht. Obgleich dieser Ansatz bisher nur in den USA diskutiert wird, scheint es naheliegend, dass dieser Gedanke auch den europäischen Raum erreichen wird, denn schon des Öfteren hat sich gezeigt, dass die Vereinigten Staaten in Sachen Sicherheitspolitik eine globale Vorreiterrolle einnehmen (neben weiteren Akteuren wie Großbritannien, Russland und China).

Für eine Gesellschaft, die auf dem Individualverkehr basiert, wäre eine derartige massenhafte Auswertung von Fahrdaten fatal – und das nicht nur in Bezug auf die informationelle Selbstbestimmung, sondern auch auf die Allgemeine Handlungsfreiheit. Bereits jetzt stellt sich für Rechtsverhältnisse unter Privaten die Frage, wie mit fahrzeugbezogenen Individualdaten umgegangen werden darf, beispielsweise in Bezug auf die Gestaltung von Versicherungspolicen. Der entscheidende Unterschied zur staatlichen Datenverarbeitung ist aber immer noch darin zu sehen, dass der Bürger hier im Regelfall die Möglichkeit hat, sich der Datenverarbeitung durch Privatunternehmen zu entziehen. Würden in ein bis zwei Jahrzehnten sämtliche Fahrzeuge vernetzt und hätten die Sicherheitsbehörden einen umfangreichen gesetzlichen Zugriff auf die entstehenden Insassen- und Fahrdaten, so wäre die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung hiergegen vergleichsweise harmlos. Auch die EAID hat sich bereits vor einigen Jahren mit der Thematik der in Kfz erfassten Daten einschließlich der damit verbundenen Überwachungsmöglichkeiten auseinandergesetzt mit dem Ergebnis, dass die Fahrdatenauswertung im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung unserer Alltagsgegenstände („Internet of Things“) nicht außer Acht zu lassende Probleme für den Schutz der eigenen Daten aufwirft.

Zentrale Vorgabe und Ziel muss es mithin sein, bereits jetzt darauf einzuwirken, dass es nicht zu einem derartigen Zustand der Massenüberwachung kommt. Hierzu gehört zwangsläufig auch, der Öffentlichkeit möglichst frühzeitig nicht nur die augenscheinlichen Vorteile des autonomen und vernetzten Fahrens zu präsentieren, sondern ihr ebenso die dahinterstehenden und teils noch versteckten Risiken, welche die informationelle Selbstbestimmung aller betroffenen Bürger tangieren, vor Augen zu führen. Nur so lässt sich verhindern, dass der jahrzehntelang gehegte Traum vom intelligenten Automobil nicht letztlich doch zu einem Alptraum für alle wird.

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